„Wir lassen sie nicht los“
Im Rahmen des Aktionsmonats gegen Gewalt war das Präventionstheater Mensch:Theater! am Montag in der Albert-Schweitzer-Schule und am Dienstag in der Hebelschule zu Gast.

In diesem Jahr hat das Präventionstheater Mensch:Theater! auf Einladung der Bürgerstiftung Kehl (BSK) die Albert-Schweitzer- und die Hebelschule besucht. Von links Claudia Mündel vom Fachausschuss „Gewalt in der Familie“ der BSK, Schauspieler Markus Schultz, Theaterpädagoge und künstlerischer Gesamtleiter Tobias Gerstner und Günter Peters, Leiter der Hebelschule.
Foto: Nina Saam
Kehl. Gewalt hat viele Gesichter – und schüchtert viele ein. Um Schüler dafür zu sensibilisieren und ihr Gefühl für Selbstwirksamkeit zu stärken, hat der Fachausschuss „Gewalt in der Familie“ der Bürgerstiftung Kehl (BSK) bereits zum zweiten Mal das Ensemble Mensch:Theater! aus Kappelrodeck eingeladen. Ein Gespräch mit Theaterleiter Tobias Gerstner.
■ Herr Gerstner, was machen Sie mit den Schülern?
Gerstner: Morgens starten wir mit einem interaktiven Forumtheater – wir zeigen verschiedene Szenen, in denen es in irgendeiner Form um Gewalt geht, in der Konstellation Täter, Opfer und eine dritte Person. Nach jeder Szene diskutieren wir mit den Schülern: Was haben sie gesehen? Wie haben die Personen reagiert – vor allem der nicht involvierte Dritte? Wie könnte diese Person anders handeln? Anschließend spielen wir die Szenen neu, die Rolle des Dritten übernimmt dann ein Schüler, der versucht, seine Handlungsoption durchzusetzen. Nach dem Stück arbeiten wir das Thema in einem Workshop auf.
■ Um welche Themen geht es konkret?
Wir bieten verschiedene Stücke an, zum Beispiel über Häusliche Gewalt, Drogen oder Zwangsheirat. In der Hebelschule ging es um Cybermobbing, die Albert-Schweitzer-Schule hat sich für das Thema Rassismus entschieden. Diskriminierung aufgrund der Herkunft ist oft Alltag – und alle bekommen es mit. Da gibt es die, die mitmachen, die, die wegschauen, und die, die Zivilcourage zeigen und dem Opfer beistehen. Viele wissen eigentlich, dass Rassismus nicht in Ordnung ist, trauen sich aber nicht, was zu sagen. Im Theater erleben die Schüler im eigenen Spiel, dass sie sehr wohl die Möglichkeit haben, Position zu beziehen.
■ Was passiert in den anschließenden Workshops?
Viele Präventionstheater spielen vor einer großen Gruppe oder allen Schülern in der Turnhalle, danach wird das Gesehene – wenn überhaupt – in einer Unterrichtstunde besprochen. Unser Gründungsimpuls war „Wir lassen sie nicht los“ – wenn das im Stück Gesehene nicht intensiv nachbereitet wird, verpufft der Effekt.
Kleine Gruppen
Wir arbeiten nur mit kleinen Gruppen, hier mit den 9. Klassen, in den Workshops sind die Lehrer nicht dabei. Wir sprechen zunächst über das Stück und machen dann einfache Übungen zur Impulskontrolle, in deren Verlauf die Schüler herausfinden, dass es okay ist, ihrem „komischen Gefühl“ Raum zu geben, nicht mitzumachen, weil es alle tun, nicht wegzusehen, weil man sich vor den Tätern fürchtet. Wenn immer mehr sagen, da machen wir nicht mit, kann das Katastrophen verhindern.
■ Wie kommt Ihr Angebot bei den Schülern an?
Anfangs ist es oft unruhig, aber wir fangen sie ein. Spätestens, wenn Mitschüler auf der Bühne stehen, sind sie dabei. In der Albert-Schweitzer-Schule hatten wir eine Szene, in der der Vater den neuen Freund der Tochter offen rassistisch ablehnt. Es war unglaublich stark, wie die Schüler sich positioniert haben, mit welchem Ernst sie dafür eingestanden sind, und wie sie aus der Rolle heraus Contra gegeben haben.
■ Erleben Sie Unterschiede zwischen den Schularten?
Förderschüler gehen oft sehr viel respektvoller miteinander um als Schüler anderer weiterführender Schulen. Auch bei der Lehrerschaft gibt es Unterschiede. Vor allem in Gymnasien erleben wir es manchmal, dass die Lehrer gar nicht wissen, dass ihre Klasse jetzt einen Workshop und nicht Mathe hat, und deshalb genervt sind. Oder sie sitzen im Theaterstück vorne drin und spielen gelangweilt mit dem Handy. Wenn uns so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird, behalten wir es uns dann auch vor, nicht mehr in diese Schule zu gehen.
■ Haben Sie viele Anfragen?
Oh ja, wir sind bundesweit unterwegs. Die Coronapandemie hat sozial so viel angerichtet, dass viele Präventionsprogramme aufgelegt wurden.
Thema Zwangsheirat
Momentan touren wir in Sachen Zwangsheirat durch die Republik, finanziert wird das vom Sozialministerium. Wir sind etwa 15 Schauspieler und Theaterpädagogen und sind sehr fluide – jeder hat alles schon mal gespielt, sodass wir auch bei Doppelbuchungen in wechselnden Besetzungen unterwegs sein können.